Ein weiterer Schritt der Digitalisierung des Gesundheitssystems: Das elektronische Rezept wird Pflicht. Wie das Ganze vom Sommer an funktioniert.
Die Zukunft des Rezepts ist digital. Bislang werden jährlich in Deutschland mehr als 500 Millionen Rezepte auf Papier ausgestellt, zur Apotheke gebracht und eingelöst. Die Digitalisierung dieses Verfahrens soll Ärzte, Apotheken und Versicherte entlasten: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn treibt die Modernisierung des Gesundheitssystems voran, und dazu gehört neben der elektronischen Patientenakte auch das elektronische Rezept. Der Versicherte hält seine Gesundheitskarte mit dem Kurzstreckenfunk NFC für einige Sekunden an sein Smartphone, schon landet das Rezept auf dem Gerät, und mit einem weiteren Tastendruck sieht er, welche Apotheken in der Nähe das Medikament bereithalten oder welche überregionale Versandapotheke sofort liefern kann.
Ärzte können vom 1. Juli an für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen ein elektronisches Rezept ausstellen, und vom 1. Januar an müssen verschreibungspflichtige Arzneimittel ausschließlich elektronisch verordnet werden. Wer sich in einer Videosprechstunde ärztlich beraten lässt, muss anschließend nicht in die Praxis kommen, um ein Rezept abzuholen.
Das E-Rezept wird in die Telematik-Infrastruktur eingebunden, Arztpraxen und die 19 400 Apotheken in Deutschland benötigen einen „Konnektor“ für den Anschluss. Mit diesen Geräten gab es in der Vergangenheit immer wieder massive Probleme. Der Arzt unterschreibt das Rezept mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, welche die handschriftliche Unterschrift ersetzt. Das Rezept landet dann auf einem Rezept-Server, den IBM Deutschland bereitstellt.
Der Versicherte erhält auf seinem Smartphone oder Tablet ein Rezept-Token oder einen Papierausdruck mit QR-Code. Mit Letzterem kann man das Rezept in der Apotheke einlösen. Wenn der Versicherte eine NFC-fähige elektronische Gesundheitskarte und ein Smartphone mit NFC hat, lassen sich die ärztlichen Verordnungen in einer App verwalten.
Die dem Gesundheitsministerium unterstellte Gematik entwickelt eine Rezept-App für die Apple- und die Android-Welt sowie für die wegen des amerikanischen Handelsbanns vom Google-Play-Store abgeschnittenen neueren Huawei-Geräte. Konnten bislang mehrere Medikamente auf einem Papierrezept verschrieben werden, bekommt jedes Medikament künftig ein eigenes. Stellt der Arzt ein Rezept aus, fordert die Software seines Praxissystems eine Rezept-ID an, die zehn Jahre gültig ist.
Das Unterschreiben des elektronischen Rezepts erfolgt entweder über eine Stapelsignatur, mit der ein Arzt alle angefallenen Rezepte mit einer einzigen Pin-Eingabe unterschreibt. Oder er wählt eine „Komfortsignatur“, die es erlaubt, in 24 Stunden maximal 250 Verordnungen zu unterschreiben. Der elektronische Heilberufsausweis des Arztes muss während des Vorgangs in einem Kartenleser stecken. Statt den Ausweis von einem Behandlungszimmer zum nächsten mitzunehmen, kann der Arzt diesen auch während der gesamten Sprechstunde in einem einzigen Kartenleser eingesteckt lassen, während er die Räume wechselt. Dann muss der Bereich rund um Rechner, Kartenleser und Ausweis vor dem Zugriff Dritter geschützt sein.
Hat der Arzt die Rezept-ID erhalten, erstellt er die Verordnung, die dann verschlüsselt auf dem Rezept-Server landet. Der Arzt erhält anschließend eine Quittung, die sich auch nutzen lässt, um die Verordnung wieder zu löschen.
Der Apotheker erhält die Rezept-ID und damit die Verordnung. Er fragt beim Server an, ob das Rezept existiert. Falls ja, steht es nur noch ihm zur Verfügung, und es landet im Verwaltungssystem der Apotheke. Geplant ist, dass der Apotheker auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten des Versicherten prüft. Dazu muss der Versicherte einen elektronischen Medikationsplan auf seiner elektronischen Gesundheitskarte gespeichert haben. Der Apotheker kann sodann das elektronische Rezept zurückgeben, es wird dann auf dem Rezept-Server wieder als „offen“ gesetzt. Ferner kann die Apotheke direkt über die App dem Versicherten mitteilen, dass zum Beispiel sein Medikament jetzt verfügbar ist oder über einen Boten zugestellt wird. Ist das Rezept eingelöst, erzeugt das System eine signierte Quittung, die zur Abrechnung mit der Apotheke dient.
In der ersten Stufe können von Juli an Fertigarzneimittel, Wirkstoffverordnungen und Rezepturverordnungen ausgegeben werden. In einer zweiten Stufe sollen auch Privatrezepte sowie Betäubungsmittel auf den Weg gebracht werden, und um 2024 sollen in Stufe drei auch E-Rezepte für die häusliche Krankenpflege und Intensivpflegeverordnungen dazugehören. Am Ende soll das E-Rezept in ganz Europa einheitlich verwendet werden. Was ein Arzt in Frankreich verschreibt, kann auch in Deutschland eingelöst werden.
Einen kräftigen Wachstumsschub durch das E-Rezept erhoffen sich die Versandapotheken, obwohl es ihnen seit Mitte Dezember untersagt ist, Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente zu geben. Die Apotheken vor Ort kämen um eine Zusammenarbeit mit den großen Plattformen nicht vorbei, meinen Fachleute, weil immer mehr Patienten verschreibungsfreie Medikamente und Gesundheitsprodukte im Netz kauften. Ein Fünftel der Umsätze mit rezeptfreien Arzneimitteln wird über den Versandhandel abgewickelt.